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Häufige neurologische Erkrankungen im Alter – wie kann man diese frühzeitig erkennen?

von

Dr. med. Ralf Siedenberg

Zusammenfassung

Es gibt zahlreiche neurologische Erkrankungen, von denen sich nicht wenige typischerweise erst im höheren Lebensalter präsentieren. In der folgenden Übersicht versuchen wir Ihnen die vier wichtigsten Krankheitsbilder der Neurologie im höheren Lebensalter soweit darzustellen, dass Sie selbst die typischen Zeichen erkennen können, um einen Arzt aufzusuchen, damit dieser die entsprechende Diagnostik und gegebenenfalls Therapie einleiten kann. Dabei fokussiert dieser Artikel auf die vier häufigsten und wichtigsten neurologischen Krankheitsbilder des höheren Lebensalters, nämlich den Schlaganfall, die Alzheimer-Erkrankung, die Parkinson-Erkrankung und, für viele vielleicht überraschend, die neu zu diagnostizierende Epilepsie im höheren Lebensalter.

Einführung

Die Neurologie ist das Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Diagnose und Therapie der organisch begründbaren Erkrankungen des Nervensystems beschäftigt. Bezüglich der Anzahl der Ärzte, die als Neurologe tätig sind, ist die Neurologie ein eher kleines Fach. Bezüglich der Anzahl der in das Fachgebiet Neurologie fallenden Krankheiten ist die Neurologie möglicherweise das grösste Fachgebiet der Medizin. Dabei sind viele dieser Erkrankungen sehr selten, zum Teil sogar so selten, dass auch ein normaler Neurologe viele von ihnen niemals zu Gesicht bekommt. Alleine dies begründet eine Schwierigkeit bei der sicheren Diagnosestellung. Andere medizinische Details im Gebiet der Neurologie erleichtern die Diagnosestellung ebenfalls nicht. 

Entsprechend gilt unter Medizinstudenten und jungen Ärzten eine Störung als weit verbreitet, nämlich die sogenannte «Neurophobie» (Angst vor der Neurologie). Hiermit bezeichnen die Neurologen die Angst der anderen medizinischen Kollegen vor der Vielfalt und Komplexität der neurologischen Krankheitsbilder, die häufig auch von ausgebildeten Neurologen nur mit grossem Aufwand diagnostizierbar sind. 

In Kontrast dazu gibt es auch zahlreiche häufige Erkrankungen in der Neurologie, einige sogar so häufig, dass die meisten Betroffenen Patienten meist nur einen Hausarzt aufsuchen und gar keinen Neurologen, so etwa die Migräne. 

In der heutigen Übersicht sollen die wichtigsten vier Krankheitsbilder der Neurologie des höheren Lebensalters dargestellt werden. Hierbei handelt es sich um zwei Krankheitsbilder die plötzlich und überraschend auftreten, erstens den Schlaganfall und zweitens den epileptischen Anfall. Die anderen beiden Krankheitsbilder präsentieren sich zu Beginn mit nur leicht ausgeprägten Symptomen, die man kaum wahrnimmt, um dann langsam progredient zur vollen Erkrankung fortzuschreiten. Solche langsam progredient fortschreitenden Erkrankungen des Nervensystems werden als neurodegenerative Krankheiten zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen mit unterschiedlichen Ursachen, die häufig im Detail noch nicht bekannt sind. 

Dieser Artikel dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht die Diagnose durch einen Arzt. Im Gegenteil, diehier dargestellten typischen Krankheitssymptome werden beschrieben und erklärt, um Betroffenen die Entscheidung zu erleichtern, rasch einen Arzt zu konsultieren. 

1. Der Schlaganfall (In der Schweiz auch Hirnschlag)

Der Schlaganfall ist zusammen mit dem Herzinfarkt und den Krebserkrankungen eine der drei häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt. Es handelt sich um eine Gefässerkrankung im Gehirn, bei der es entweder zu einer Gefässverstopfung (Hirninfarkt) oder einer Gefässruptur (Hirnblutung) kommt. Alleineaufgrund der klinischen Symptomatik sind diese beiden Arten des Schlaganfalles in der Regel nicht sicher zu unterscheiden. Hierfür braucht es eine cerebrale Bildgebung, entweder in Form einer craniellenComputertomographie (CCT oder in Form einercraniellen Magnetresonanztomographie (MRT, teilweise auch MRI für Magnetic Resonance Imaging). 

Auf der Ebene der Beschwerden und Befunde ist das wichtigste Kennzeichen eines Schlaganfalles, dass die Symptomatik plötzlich eintritt, das heisst in der Regel innerhalb von einer Sekunde oder wenigen Sekunden (seltene Ausnahmen hiervon werden aufgrund der Komplexität nicht weiter besprochen). Dies ist auch, was dem Schlaganfall (Hirnschlag) seinen Namen gegeben hat. Die betroffenen Menschen sind «wie vom Schlag getroffen». Während also das wichtigste Kriterium für die Verdachtsdiagnose Schlaganfall der plötzliche Symptomeintritt ist, gibt es zahlreiche verschiedene Beschwerden, die im Rahmen eines Schlaganfalls auftreten können, welche hier aus Platzmangel nicht alle aufgezählt werden können und sollen. 

Das mit Abstand häufigste Initialsymptom eines Schlaganfalles ist die Hemiparese, also die senso-motorische Halbseitenstörung. Etwa 70% aller Schlaganfälle manifestieren sich mit einer Taubheit, einer Schwäche oder einer Kombination davon welche nur eine Körperhälfte betrifft. Die plötzliche Halbseitenstörung ist bis zum Beweis des Gegenteils als Schlaganfall zu diagnostizieren. Weitere häufige Initialzeichen eines Schlaganfalles sind die plötzliche Gesichtslähmung (Lähmung einer Gesichtshälfte), die plötzliche Sprech- oder Sprachstörung, entweder als vollständige Sprechhemmung oder das Sprechen von grammatisch nicht korrekten Äusserungen wie zum Beispiel der sogenannte «agrammatischeTelegrammstil» oder das Reden von Sätzen, die zwar grammatisch korrekt sind, die aber im Kontext keinen Sinn ergeben. Dieser oft auch als «Wortsalat» bezeichnete Sprach-Outpu einer Aphasie muss unterschieden werden von unsinnigen Äusserungen dieim Rahmen eines akuten Verwirrtheitszustandes zu beobachten sind. Bei letzterem kommt es auch zu offensichtlichen Fehlhandlungen und die Person ist nicht adäquat orientiert. Im Schlaganfall ist dies nur sehr selten der Fall. Hier beobachtet man isolierte Sprachstörungen, ohne das Denken und Verhalten auffällig sind. Weitere Beschwerden die, wenn sie plötzlich eintreten, an einen Schlaganfall denken lassen, sind Blindheit auf einem Auge, Doppelbilder, Drehschwindel oder eine plötzlich einsetzende Gangstörung.  

Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall, der Leib und Leben bedroht; entsprechend ist die sofortige notärztliche Versorgung dringend indiziert. In Amerika heisst es auch «Time is brain», da mit jeder verlorenen Minute die vergeht bis die Therapie einsetzt, der Hirnschaden zunimmt. Es empfiehlt sich also, sofort eine Notaufnahme aufzusuchen oder den Rettungswagen zu rufen, damit dieser die betroffene Person rasch in eine Notaufnahme bringt, am besten in ein Krankenhaus mit einer «Stroke Unit», damit dort der vermutete Schlaganfall rasch und kompetent diagnostiziert und behandelt werden kann.

2. Der epileptische Anfall

In den letzten 15 bis 20 Jahren hat sich immer häufiger herausgestellt, dass Epilepsie nicht nur eine Erkrankung des Kindes- und Jugendalters ist, sondern dass eine spezielle Gruppe von epileptischen Erkrankungen typischerweise einen Häufigkeitsgipfel im höheren Lebensalter zeigt. Die Erklärung liegt darin, dass es sich bei der Epilepsie nicht um eine homogene Erkrankung handelt, sondern um eine sehr heterogene Gruppe von ursächlich völlig unterschiedlichen Erkrankungen. Im Kindes- und Jugendalter zeigen sich zum Beispiel häufig epileptische Anfälle aufgrund von kongenitalen Gehirnmissbildungen oder aufgrund von genetisch angeborenen Epilepsieformen. Auch der Fieberkrampf ist eine typische Erkrankung des Kindesalters. 

Im höheren Lebensalter ist jedoch ein Häufigkeitsgipfel von sogenannten fokalen Anfällen, die aber auch rasch generalisieren können, zu beobachten. Die Ursache liegt darin, dass im Laufe des Lebens sich im Gehirn verschiedensten Störungen, Defekte und Narben aus unterschiedlichsten Ursachen ansammeln. Ein Teil dieser Narben kann dann im Verlauf von mehreren Monaten oder wenigen Jahren zu einem epileptogenenFokus transformieren. Die häufigste Ursache ist ein zuvor stattgehabter Hirninfarkt (Schlaganfall). Auch ein kleiner sogenannter «stummer Hirninfarkt», also einer der gar keine klinische Symptomatik gezeigt hat, kann als Defekt im Gehirn bestehen bleiben und im Verlauf von Monaten oder Jahren zu einem epileptischen Fokus werden. Die häufigste Manifestation entsprechender fokaler Anfälle ist das motorische Zucken im Gesicht, der Hand oder dem Bein. Nicht selten kommt es auch zu einem «Speech Arrest», also einer Sprechhemmung wie sie auch im Rahmen eines Schlaganfalles beobachtet werden kann. Alleine hier zeigt sich schon, wie schwierig die Unterscheidung dieser Krankheitsbilder im Einzelfall sein kann, weswegen es immer anzuraten ist, diesbezüglich einen Facharzt für Neurologie aufzusuchen. Viele dieser fokalen Anfälle generalisieren dann auch zu einem sogenannten grossen Anfall oder «Grand mal», also einem generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall mit Bewusstseinsverlust, Zyanose (Blauverfärbung der Lippen und Schleimhäute), Schaum vor dem Mund, Zungenbiss, Urinabgang, und motorischen Entäusserungen, die typischerweise insgesamt etwa ein bis drei Minuten anhalten. Meistens sind die Betroffenen danach für eine Zeit «postiktal verhangen», das heisst sie sind nicht sofort reorientiert. Dies ist das wichtigste und sicherste Kennzeichen um eine banale Ohnmacht, die auch mit einem kurzen Bewusstseinsverlust einhergehen kann, und die als sogenannte «konvulsive Synkope» auch mit kurzzeitigen muskulären Zuckungen einem epileptischen Anfall sehr ähnlich sein kann, zu unterscheiden. Nach einer vasovagalen Synkope und auch einer konvulsiven Synkope sind die Betroffenen sofort reorientiert und haben keine Phase der Verwirrtheit für 10 bis 30 Minuten, wie es nach einem Grand mal häufig zu beobachten ist. Da es viele bedrohliche Störungen Ursache eines epileptischen Anfalls sein können, so etwa eine beginnende Enzephalitis (Gehirnentzündung)die prinzipiell lebensbedrohlich ist, sollte ein neu aufgetretener epileptischer Anfall sofort zur Notaufnahme führen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Rettungswagens.

3. Die Alzheimer-Erkrankung

Die Alzheimer Krankheit ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung des Menschen. Sie führt typischerweise zu einem langsam progredienten Verlust der Lernfähigkeit, also zu Gedächtnis- und Orientierungsstörungen. Darüber hinaus führt sie auch zu einer langsamen Störung von Konzentration und Aufmerksamkeit, sowie dem Abbau von Auffassungsgabe, Denkfähigkeit und zu Verhaltensstörungen. Die Beschwerden beginnen meistens in Form einer leichten Merkschwäche. Der oder die betroffene Person bemerkt anfangs oft, dass sie sich Erlebnisse und Ereignisse nicht mehr so gut merken kann wie früher, häufig Namen vergisst oder auch Gegenstände verlegt. Alle diese Dinge sind für sich genommen unspezifisch und können auch bei jungen Menschen beobachtet werden. Häufen sich jedoch die Gedächtnisstörungen, ist an eine Alzheimer-Erkrankung oder auch an andere Demenzformen zu denken. Wenn die Gedächtnisstörung weiter fortschreitet, sind die Betroffenen meistens zeitlich nicht mehr sicher orientiert. Sie gelangen dann langsam in das Stadium, wo sie ihre eigene Merkschwäche, die ihnen anfangs noch auffiel,gar nicht mehr wahrnehmen. Dann bewahrheitet sich der Satz der alten Ärzte: Wenn der Betroffene über Gedächtnisstörungen klagt, hat er meistens keine echten. Wenn die Angehörigen über Gedächtnisstörungen des Betroffenen klagen, handelt es sich häufig um eine beginnende Demenz.

4. Das idiopathische Parkinson-Syndrom

Der Morbus Parkinson, früher auch als Schüttellähmung bezeichnet, ist eine weitere häufige neurodegenerative Erkrankung. Es handelt sich um eine langsam fortschreitende Gehirnerkrankung, deren Ursache bisher nicht geklärt ist. Während die Alzheimer-Erkrankung sich typischerweise mit Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen präsentiert, präsentiert sich die Parkinsonerkrankung typischerweise mit Bewegungsstörungen. Im späteren Verlauf kann es allerdings auch zu kognitiven Defiziten kommen, teilweise auch zu einer vollständigen Demenz.

Die Parkinsonerkrankung lässt sich bezüglich ihrer Frühsymptome in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe beginnt mit einem Zittern, dem sogenannten Parkinsontremor, welcher in der Regel ein Ruhetremor von einer Hand ist. Er befällt also typischerweise in der Frühphase nicht beide Hände sondern ist einseitig. Dies ist sehr wichtig zur Unterscheidung der häufigsten Zittererkrankung im Alter, nämlich dem Alterstremor oder dem essenziellen Tremor. Hier kommt es typischerweise zu einem Zittern von beiden Händen, wenngleich es nicht selten zu einer asymmetrischen Ausprägung zwischen rechts und links kommt. Ausserdem ist es hier meistens kein Ruhetremor, sondern ein sogenannter «Halte- oder Aktionstremor», das heisst, es zittert die Hand, wenn man zum Beispiel ein Glas festhält.

Die zweite Gruppe der Parkinsonerkrankungen präsentiert sich nicht mit einem Zittern, sondern mit einer meistens auch einseitigen Bewegungsverlangsamung (Akinese) und Steifigkeit (Rigor). Bei seltenen und pathogenetisch anders begründeten Parkinsonerkrankungen kommt es auch zu einer primären Steifigkeit und Verlangsamung an beiden Körperhälften. Im Rahmen des häufigen idiopathischen Parkinsonsyndroms ist allerdings ein einseitiger Befall mehrheitlich zu beobachten. Auch beim Parkinsonsyndrom kommt es zu zahlreichen weiteren Beschwerden, die hier nicht alle aufgezählt werden können. Es soll allerdings darauf hingewiesen werden, dass nicht selten im Frühstadium eine Steifigkeit des Armes von dem Betroffenen oft als rheumatisch bedingtinterpretiert wird, teilweise auch von den Hausärzten. Im Vollstadium hat der Parkinsonpatient ein typisches Krankheitsbild, dass sich am besten mit dem Merk-Wort «Trap», Englisch für «Falle» merken lässt:

T – Tremor,

R – Rigor, 

A – Akinese,

P – Postural Instability. 

Zusammengefasst zeigt das Vollbild des Parkinsonpatienten also eine Bewegungsstörung mit Zittern (Tremor), Steifigkeit (Rigor) langsamer Beweglichkeit (Akinese oder Bradykinese) und eine Gangstörung mit vorgebückter Haltung und kleinschrittigem Gangbild (Postural Instability). 

Schlussfolgerung

Wir hoffen, dass diese Beschreibungen der wichtigen Krankheitsbilder im hohen Lebensalter Ihnen helfen werden, diese frühzeitig zu erkennen. Auf keinen Fall sollen diese Angaben der Selbstdiagnose dienen. Sie sollen ganz im Gegenteil den Betroffenen Hinweise geben, dass sie frühzeitig einen Arzt aufsuchen, in diesem Fall am besten einen Facharzt für Neurologie,damit rasch eine sinnvolle Diagnostik und Therapie eingeleitet werden kann.

Kurzbiographie

Dr. Ralf Siedenberg wurde in Hamburg geboren und wuchs dort auf. Er studierte Medizin, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Ökonomie an den Universitäten Hamburg, Edinburgh und London. Anschliessend lebte und arbeitete er in England,Schottland, den USA, Deutschland und aktuell in der Schweiz. Er ist Facharzt für Neurologie und leitet das Neurologicum Zürichsee. 

Kontakt

https://www.neurologicum.ch