Während bei Menschen Krebserkrankungen zu den häufigsten Todesursachen zählen, sind Affen und Krebs eine Seltenheit – ein bemerkenswerter Unterschied in der Welt der Primaten. Tatsächlich erkranken nur etwa zwei Prozent der Menschenaffen an Tumoren, während bei Menschen jeder Fünfte daran stirbt. Obwohl Menschen und Schimpansen genetisch zu über 98 Prozent ähnlich sind, existiert diese auffällige Diskrepanz in der Krebsanfälligkeit. Der Grund dafür ist überraschend einfach und gleichzeitig faszinierend: Der Unterschied beläuft sich auf nur eine einzige Aminosäure in einem wichtigen Immunprotein. Bei Schimpansen enthält die Version des FasL-Proteins an einer entscheidenden Stelle die Aminosäure Prolin, während Menschen dort Serin tragen. Diese kleine Abweichung hat jedoch massive Auswirkungen auf die Fähigkeit des Immunsystems, Krebszellen zu bekämpfen.
Warum Affen seltener an Krebs erkranken
Die Statistiken sprechen eine klare Sprache: Während Forscher bei tausenden obduzierten Affen nur in ein bis zwei Prozent der Fälle Krebsgeschwülste entdeckten, wird bei mindestens jedem dritten Menschen irgendwann ein Tumor diagnostiziert. Diese auffällige Diskrepanz wirft grundlegende Fragen über unsere unterschiedliche Krebsanfälligkeit auf.
Genetisch betrachtet teilen Menschen und Schimpansen etwa 98,8 Prozent ihrer DNA. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich jedoch einige kritische Unterschiede. Forscher identifizierten beispielsweise bei Menschen eine Reihe von Genen, die mit der Krebsentstehung in Verbindung stehen – darunter Tumorsuppressor-Gene, Gene für die Kontrolle des Zellzyklus und solche, die den programmierten Zelltod (Apoptose) regulieren.
Der entscheidende Unterschied liegt in der molekularen Struktur des FasL-Proteins. Dieses Immunprotein spielt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Krebszellen und fungiert als eine Art „Todeskommando“ auf der Oberfläche aktivierter T-Zellen. Es löst bei entarteten Zellen den gezielten Zelltod aus und ist somit ein wichtiger Bestandteil unserer Immunabwehr.
Allerdings besitzt das menschliche FasL eine folgenreiche Schwachstelle: Eine einzige Aminosäure macht den Unterschied. Bei Menschen sitzt Serin an einer bestimmten Position, während Schimpansen dort Prolin aufweisen. Diese kleine Abweichung macht das menschliche FasL anfällig für das Enzym Plasmin, das in vielen soliden Tumoren vorkommt. Plasmin kann das menschliche FasL-Protein regelrecht lahmlegen, indem es dieses zerschneidet.
Die Schimpansen-Version des Proteins hingegen bleibt stabil und behält auch im Tumormilieu ihre Funktion bei. Dies erklärt teilweise, warum Menschenaffen seltener an aggressiven Tumoren erkranken.
Natürlich spielen auch Lebensstil- und Umweltfaktoren eine wichtige Rolle: „Affen rauchen nicht, sie essen nicht so ungesund wie wir,“ erklärt Forscher Tushir-Singh. Trotzdem verdeutlicht die FasL-Mutation, dass es auch auf molekularer Ebene grundlegende Unterschiede gibt, die unsere höhere Krebsanfälligkeit erklären.Interessanterweise könnte diese Mutation für den Menschen evolutionär vorteilhaft gewesen sein – vermutlich für die Entwicklung eines größeren, leistungsfähigeren Gehirns. Das erhöhte Krebsrisiko wäre demnach der Preis für unsere kognitive Entwicklung.
Das FasL-Protein und seine Rolle im Immunsystem
Das FasL-Protein (Fas-Ligand) funktioniert im Immunsystem als molekulares „Todeskommando“. Dieses Protein gehört zur Tumornekrosefaktor-Familie (TNF) und spielt eine entscheidende Rolle bei der Beseitigung entarteter oder infizierter Zellen. FasL sitzt auf der Oberfläche aktivierter T-Zellen und bindet an den entsprechenden Fas-Rezeptor (auch CD95 oder APO-1 genannt) auf Zielzellen.
Bei dieser Bindung geschieht etwas Bemerkenswertes: Der Fas-Rezeptor, der normalerweise als Monomer vorliegt, bildet ein Trimer – eine dreiteilige Struktur, die für seine Funktion unerlässlich ist. Dadurch wird ein komplexer Signalweg aktiviert, bei dem zunächst der FADD-Adaptorprotein-Komplex (Fas-associated protein with death domain) rekrutiert wird. Anschließend folgt die Aktivierung von Caspase-8, einem Enzym, das den programmierten Zelltod (Apoptose) einleitet.
Besonders wichtig ist FasL beim sogenannten aktivierungsinduzierten Zelltod (AICD). Dieser Prozess sorgt dafür, dass aktivierte T-Zellen, die nach einer Immunantwort nicht mehr benötigt werden, kontrolliert absterben. Darüber hinaus nutzen zytotoxische T-Zellen das FasL-System gezielt, um virusinfizierte oder bösartige Zellen zu eliminieren.
Allerdings hat das menschliche FasL eine entscheidende Schwachstelle: An Position 153 befindet sich die Aminosäure Serin. Diese macht das Protein anfällig für das Enzym Plasmin, das in vielen soliden Tumoren vorkommt und das FasL-Protein regelrecht zerschneiden kann. Folglich verliert das Immunsystem eine seiner wichtigsten Waffen gegen Krebszellen.
Im Gegensatz dazu besitzt das FasL-Protein bei Schimpansen an dieser kritischen Position die Aminosäure Prolin. Diese scheinbar kleine Veränderung macht einen gewaltigen Unterschied: Das Affen-FasL bleibt stabil und funktionsfähig, selbst wenn Plasmin vorhanden ist.Interessanterweise erklärt dieser Mechanismus auch, warum moderne Immuntherapien bisher vor allem bei Blutkrebs erfolgreich sind, bei soliden Tumoren jedoch oft versagen. Bei Blutkrebs spielt Plasmin kaum eine Rolle – das FasL bleibt intakt und kann seine Funktion erfüllen.
Was wir daraus für die Krebstherapie lernen können
Die Erkenntnisse über das robustere FasL-Protein bei Affen eröffnen vielversprechende Ansätze für neue Krebstherapien. Forscher haben bereits spezielle Antikörper entwickelt, die das menschliche FasL-Protein vor dem Angriff durch Plasmin schützen können. In Laborversuchen konnten Immunzellen dadurch Tumore deutlich effektiver angreifen.
Besonders relevant ist diese Entdeckung für die Weiterentwicklung von CAR-T-Zelltherapien. Bei dieser innovativen Behandlungsform werden körpereigene Abwehrzellen genetisch so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und vernichten können. Während diese Therapie bei Blutkrebs bereits beeindruckende Erfolge erzielt, bleibt die Wirksamkeit bei soliden Tumoren begrenzt. Der Grund: In soliden Tumoren zerstört Plasmin das FasL-Protein, während es in Blutkrebszellen kaum aktiv ist.
Ein vielversprechender Ansatz ist daher die Entwicklung von Fas-Decoy-Molekülen, die von modifizierten T-Zellen abgesondert werden und das schädliche Plasmin abfangen. In Studien mit Bauchspeicheldrüsenkrebs-Modellen konnte dadurch die Wirksamkeit von CAR-T-Zellen deutlich verbessert werden.
Darüber hinaus bietet das natürliche Milchprotein Lactoferrin interessante Möglichkeiten. Forscher der Medizinischen Universität Wien entdeckten, dass Lactoferrin das Enzym Plasminogen blockiert und dadurch sowohl eine Tumorzellinvasion als auch das Eindringen von Bakterien verhindern kann.
Wissenschaftler arbeiten zudem an genetisch verbesserten T-Zellen, die nach dem Vorbild des Affen-FasL widerstandsfähiger gegen den Angriff durch Plasmin sind. „Vielleicht könnte man das nutzen, um CAR-T-Zellen zu entwickeln, die aktiver sind und somit bestimmte Krebsarten besser behandeln könnten“, erklärt der Biochemiker Ingo Schmitz von der Universität Bochum.
Andere Forschungsansätze konzentrieren sich auf die Kombination aktueller Behandlungen mit Plasmin-Inhibitoren, um die Immunreaktion bei Patienten mit soliden Tumoren zu verstärken. Zusätzlich werden personalisierte Krebsimmuntherapien entwickelt, die gezielt auf die individuellen Mutationen der Tumorzellen zugeschnitten sind.Die Erforschung der molekularen Unterschiede zwischen Menschen und Affen liefert folglich wertvolle Hinweise für die Entwicklung wirksamerer Krebstherapien und könnte insbesondere die Behandlung von soliden Tumoren revolutionieren.
Fazit
Die Entdeckung des kleinen aber entscheidenden Unterschieds zwischen dem menschlichen und dem Affen-FasL-Protein wirft ein neues Licht auf unsere Krebsanfälligkeit. Tatsächlich macht eine einzige Aminosäure den Unterschied zwischen einem funktionierenden und einem durch Plasmin angreifbaren Immunsystem aus. Diese molekulare Schwachstelle erklärt teilweise, warum Menschen deutlich häufiger an Krebs erkranken als unsere nächsten Verwandten im Tierreich.
Besonders bemerkenswert bleibt die Tatsache, dass trotz der 98-prozentigen genetischen Übereinstimmung zwischen Menschen und Schimpansen solch fundamentale Unterschiede in der Krebsresistenz bestehen. Die Natur demonstriert hier eindrucksvoll, wie selbst kleinste genetische Variationen weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit haben können.
Die Forschung zu diesem Thema schreitet dennoch stetig voran. Wissenschaftler arbeiten bereits an verschiedenen Ansätzen, um die Erkenntnisse über das FasL-Protein in neue Therapien umzusetzen. Fas-Decoy-Moleküle, plasminresistente CAR-T-Zellen und der Einsatz von Lactoferrin könnten zukünftig die Behandlung solider Tumore revolutionieren. Diese Entwicklungen wecken Hoffnung, dass wir die Krebsresistenz von Affen eines Tages nachahmen können.
Die Evolution hat Menschen möglicherweise mit einem größeren Gehirn ausgestattet, dafür aber mit einem anfälligeren Immunsystem. Dieser Kompromiss unterstreicht, dass jede evolutionäre Anpassung sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen kann. Das Verständnis dieser Balance könnte schließlich dazu beitragen, die Schwächen unseres Immunsystems gezielt auszugleichen, ohne unsere kognitiven Fähigkeiten zu beeinträchtigen.Der Blick auf unsere nächsten Verwandten lehrt uns somit wertvolle Lektionen für die Zukunft der Krebsmedizin. Die Natur hält offensichtlich bereits einige Antworten bereit – wir müssen sie nur richtig verstehen und umsetzen.